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„Intelligente Automatisierung bindet den Menschen ein"

Ein Schwergewicht stellt sich dem Wandel: Polar-Mohr ist im Schneidmaschinenbau seit Jahrzehnten mit führend. Dem Wandel der Druckindustrie begegnen die Hofheimer einerseits mit flexiblen Kompakt-Schneidmaschinen für die automatisierten Prozesswelten im Digitaldruck. Andererseits weiten sie das Spektrum ihrer Zielbranchen aus und setzen dabei auch auf strategische Übernahmen.

Dr. Markus Rall ist seit Oktober 2012 Geschäftsführer der Hofheimer Polar-Mohr Maschinenvertriebsgesellschaft GmbH & Co. KG. Die Hessen stiegen Mitte der 1940er Jahre in den Schneidmaschinenbau ein und entwickelten sich hier schnell zum Marktführer. Bis heute haben sie weltweit rund 135.000 Maschinen verkauft.

Herr Dr. Rall. Die Historie von Polar-Mohr liest sich wie eine Innovationsgeschichte der Schneidmaschinentechnik.

Markus Rall: Als Marktführer hatte unser Unternehmen die Kraft und auch entsprechend gute Entwickler, um Innovationen voranzutreiben und Trends zu setzen. Natürlich gehören zu so einer Strategie auch Rückschläge. Nicht jede Neuerung wird ein Erfolg. Wer vorangeht, trägt dieses Risiko. Polar-Mohr konnte es tragen.

Damit hat Ihr Unternehmen natürlich eine gewisse Erwartungshaltung erzeugt. Lässt sich das hohe Innovationstempo der Vergangenheit beibehalten?

Rall: Wir haben weiterhin eine gut gefüllte Pipeline. Kürzlich haben wir unseren EasyLoad vorgestellt, der die Lücke zwischen manuellem und automatischem Rütteln schließt. Solche Automatisierungslösungen sind ein Schwerpunkt unserer Forschung und Entwicklung. Wir wollen unseren Kunden den jeweils für ihre Prozesse angemessenen Automatisierungsgrad bieten.

Was heißt das?

Rall: Vollautomatisierung kann und möchte sich längst nicht jeder Kunde leisten. In vielen Fällen ist ohnehin ein Maschinenbediener vor Ort, etwa zur Qualitätskontrolle oder weil es der Gesetzgeber vorschreibt. Der Mensch mit seiner hervorragenden Sensorik und seiner hohen Handlungsflexibilität ist Automaten bei vielen Aufgaben weit überlegen. Intelligente Automatisierung bindet diese Fähigkeiten des Menschen mit ein.

Wie sieht das im Bereich Web-to-Print mit seinen oft kleinen Auflagen aus?

Rall: Bei den ganz großen Web-to-Print-Playern mit ihrem hohen Durchsatz bei flexiblen Auflagen gibt es auch einen Markt für vollautomatische Lösungen, den wir bedienen. Da gehen vorne Papierstapel rein und hinten kommt das fertige Endprodukt heraus. Das setzt intelligente Verkettung von der Vorstufe bis zur Weiterverarbeitung voraus. Allerdings sind solche Highend-Lösungen ein bisher noch kleiner Markt...

...der perfekt abgestimmte Prozessketten voraussetzt. Wie klappt die Abstimmung der Schnittstellen zwischen den beteiligten Maschinenbauern?

Rall: Hier hat Polar-Mohr über die historisch gewachsene Kooperation mit dem starken Partner Heidelberg einen Vorteil. Heidelberg setzt mit seinen enormen Marktanteilen in der Branche Standards. Darauf sind unsere Maschinen quasi von jeher abgestimmt. Wobei das auch für unsere anderen Partner aus der Vorstufe gilt. Die Vernetzung per Compucut, das Schneidprogramme automatisch aus Vorstufendaten generiert, ist mittlerweile seit über einem Vierteljahrhundert im Einsatz. Ich war bei meinem Einstieg in die Geschäftsführung von Polar-Mohr im Herbst 2012 selbst überrascht, dass meine Vorgänger die Anbindung schon in den 1980er Jahren gesucht, vorangetrieben und bis heute immer weiter optimiert haben. Für industrielle Druckereien ist das mittlerweile ein absolutes Muss.

Und wie sieht es in den kleineren Druckereien mit der Prozessvernetzung aus?

Rall: Die Verbindung von Vorstufe zu Druckmaschine ist auch dort Standard. Dagegen ist eine Anbindung der Weiterverarbeitung vielerorts noch pragmatisch - um nicht zu sagen hemdsärmelig gelöst. Da geschieht noch Vieles auf Zuruf.

Sehen Sie hier Marktpotential?

Rall: Absolut. Der Trend geht weg von Stand-alone-Maschinen hin zu einer Ausweitung der Peripherie. Wir sind hier mit unserer „Polar Automation for Cutting Efficiency" – oder kurz PACE - führend. Gerade in Hochlohnländern sind diese Systeme sehr gefragt. Hinzu kommen die großen Vorteile der Ergonomie. Teils schreibt die Arbeitssicherheit vor, Beschäftigte zu entlasten. Für uns geht mit der Automatisierung eine deutliche Umstellung einher. Denn in den automatisierten Prozessketten steigt die Produktivität. Eine moderne Maschine ersetzt dann mehrere andere. Zugleich steigt der Bedarf an Support. Das ganze Geschäftsmodell verschiebt sich. Aber dieses Segment wächst.

Wo gibt es weitere Wachstumsfelder, die das stagnierende bis rückläufige Geschäft in der Druckindustrie kompensieren können?

Rall: Erfolgreich sind wir mit unseren Kompakt-Schneidmaschinen von 56 cm über 66 cm bis 80 cm Schnittbreite. Sie runden unser Portfolio nach unten hin ab und werden ebenfalls von Heidelberg und anderen Partnern in verschiedensten Ländern vertrieben. Sie sind in kleineren Druckereien und Copy Shops sehr gefragt. Hier verzeichnen wir in den letzten beiden Jahren ein sehr erfreuliches zweistelliges Wachstum. Das ist nicht das ganz große Thema, aber es hilft uns, unsere Fertigungs- und Montagekapazitäten auszulasten. Ein zweiter wichtiger Bereich ist das Etiketten-Stanzen. Sei es das Durchstoß-Stanzen oder das Gegendruckstanzen für Papier- und Inmould-Kunststoff-Etiketten. Die Mühen, die wir hier in den letzten Jahren investiert haben, zahlen sich nun aus. Dabei sind Produktivitätssteigerungen um 50 Prozent gegenüber der etablierten Technik machbar.

Auch Ihr Weg führt in den Verpackungsmarkt...

Rall: ...wir sehen alle, dass dieser Markt stabil wächst. Und Polar-Mohr schneidet sich ein Stück vom Kuchen ab. Wir haben ja schon 2011 die Dienst Verpackungstechnik GmbH in Hochheim übernommen – einen Spezialisten für den Bau von Kartonier-Systemen. Wir sind dabei, hier mit unseren Maschinen in neue Produktivitätsbereiche vorzustoßen. Wir sind in diesem Markt für die nähere Zukunft sehr guter Dinge.

Die Verpackungsmaschinenmärkte auf der Südhalbkugel wecken hohe Erwartungen. Sehen Sie dort auch Potential für Druck- und Papierverarbeitungsmaschinen?

Rall: Im Verpackungsdruck auf jeden Fall. Und wenn ich die Entwicklung von China sehe – einem Land, das praktisch keine Druckmaschinen gekauft hat und dann binnen weniger Jahre zum Kernmarkt der Branche wurde – dann gehe ich schon von hohem Nachholbedarf in Asien, Afrikas oder Südamerika aus. Auch wenn Internet und Mobilfunk auch dort eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Von daher sehe ich hier auf jeden Fall Marktpotential für uns und unsere Branche.

Polar-Mohr ist mit über 85 Prozent Exportquote ein Gobal Player. Wie steht es um die Diversifizierung ihrer Zielmärkte?

Rall: Unsere Schneidmaschinen schneiden längst nicht nur Papier und Pappe, sondern auch Kork, Filtermaterialien, Kunststoffe, Gummi und wie ich kürzlich gelernt habe, sogar Schwertfisch (lacht). Wir schauen uns längst in anderen Branchen außer dem Druck- und Verpackungsmarkt um. Wir sind dabei, dieses Scouting zu systematisieren.

Wie?

Rall: Wir haben zunächst einmal Verantwortliche dafür benannt, die auch wirklich Zeit investieren können. Das ist das A und O. Zudem diskutieren wir beispielsweise mit Zulieferern, die auch abseits der graphischen Industrie aktiv sind, mögliche Einsatzszenarien für unsere Maschinen. Wir horchen in unsere Netzwerke hinein und suchen die Vernetzung, wo bisher eher ein Nebeneinander herrschte. Ich bin sicher: Für gute Schneidtechnik gibt es vielerorts Bedarf. Es ist eine echte Herausforderung, herauszubekommen wo. Zumal wir nicht in den Sondermaschinenbau einsteigen können und werden. Das ist einfach nicht unsere Stärke...

...was die Suche deutlich einschränkt.

Rall: Ja. Es muss ein gewisses Marktpotential sichtbar sein, damit es sich für uns und für den potentiellen Käufer lohnt, dass wir in die Entwicklung einsteigen. Aber grundsätzlich müssen wir zu neuen Ufern aufbrechen, um Probleme in der grafischen Branche abzufedern.

Ist es für ein Unternehmen Ihrer Größe nicht die bessere Option, neue Märkte durch strategische Firmenübernahmen zu erschließen, anstatt sie selbst von der Pike auf zu entwickeln?

Rall: Wir sind diesen Weg mit der Dienst Verpackungstechnik sehr erfolgreich gegangen. Hier wachsen wir zweistellig. Und es ergeben sich vielfältige Synergien – sei es im Einkauf, in der Fertigung und Montage oder Entwicklung.

Werden dem guten Beispiel weitere folgen? Nach weltweit über 130.000 verkauften Maschinen dürfte Polar-Mohr die Finanzkraft für weitere Übernahmen haben.

Rall: Polar ist eine gigantische Marke, die in der grafischen Industrie weltweit wirklich jeder kennt. Diesen Ruf haben wir uns durch Qualität erarbeitet – das darf ich sagen, weil ich es schon vor meinem Einstieg ins Unternehmen genauso gesagt habe. Natürlich hat unsere Firma in all den Jahrzehnten gutes Geld verdient und Rücklagen gebildet. Das hat uns die Übernahme von Dienst ermöglicht. Und ich schaue, was noch gut zu uns passen könnte, wie wir uns weiter verstärken und unser Portfolio geschickt ergänzen können. Wie Sie es richtig sagten, es ist für ein Unternehmen unserer Größe nicht einfach, neue Märkte von der Pike auf zu entwickeln. Letztlich gehört immer auch Glück dazu. Das wissen wir bei Polar- Mohr aus Erfahrung.

Inwiefern?

Rall: Wir sind nach dem 2. Weltkrieg zum Schneidmaschinenbau gekommen, weil dieser Markt im Westdeutschland plötzlich brach lag. Alle bisherigen Hersteller waren im Osten. Es war reines Glück, das uns diesen Markt eröffnet hat. Obendrein fand sich mit Heidelberg bald ein starker Partner. Dieses Glück haben meine Vorgänger gekonnt in jahrzehntelangen Erfolg übersetzt. Jetzt sind wir durch die strukturellen Veränderungen in der Druckindustrie in einer Situation, in der wir kämpfen müssen – und wieder Glück brauchen. Indem wir uns in neuen Märkten umschauen und Testballons starten werden, möchten wir dem Glück auf die Sprünge helfen. Wenn wir zehn Themen anpacken und bei Dreien erfolgreich sind, ist das allemal besser, als mit sorgenvoller Miene im Status-Quo zu verharren.

www.vdma.org

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